Die Preisträger:innen der Leipziger Buchmesse 2024 wurde gestern in der Glashalle vor dem mitfiebernden Publikum ausgezeichnet. In der Kategorie Belletristik hat sich die siebenköpfige Jury für Barbi Markovic und ihren Roman „Minihorror“ entschieden. Mit dem Preis in der Kategorie Sachbuch/Essayistik wurde Tom Holert für sein Werk „ca. 1972“ Gewalt – Identität – Methode ausgezeichnet. Den Preis in der Kategorie Übersetzung verlieh die Jury an Ki-Hyang Lee für ihre Übersetzung des Erzählbandes „Der Fluch des Hasen“ aus dem Koreanischen von Bora Chung.
Kategorie Bellestristik – Barbi Markovic: „Minihorror“ (Residenz Verlag)
Rasant, seriell und pop-affin – so ist Barbi Markovics neues Buch, das man wie im Rausch ohne Unterbrechung an einem Stück lesen will. Denn der Genuss ihrer witzigen und scheinbar so einfachen Sätze, die die absurde Fallhöhe zwischen Alltag und existenzieller Weltlage ausmessen, soll bitte nicht enden. Barbi Markovic erzählt hinreißend komisch und bitterernst von unserer Gegenwart: hinten die Kriegsverbrechen, vorne der Klimawandel, dazwischen die Banalität unseres tagtäglichen Lebens. In „Minihorror“ enttarnt Barbi Markovic das Unheimliche jeder noch so harmlosen Situation, den Horror im Alltag, den Grusel vor der eigenen Familie. Dabei wird der Mensch im Spätkapitalismus notgedrungen zur Witzfigur. – Begründung der Jury
Barbi Markovic
Barbi Markovic, geboren 1980 in Belgrad, studierte Germanistik und arbeitete zunächst als Lektorin. 2009 erhielt Markovic viel Beachtung für „Ausgehen“ (Suhrkamp), eine Übertragung der Thomas-Bernhard-Erzählung „Gehen“ in die Belgrader Clubszene. 2011/2012 war sie Stadtschreiberin von Graz. 2016 erschien der Roman „Superheldinnen“ beim Residenz Verlag, für den sie den Literaturpreis Alpha, den Förderpreis des Adelbert-von-Chamisso-Preises sowie 2019 den Priessnitz-Preis erhielt. 2017 las Barbi Markovic beim Bachmann-Preis. Es folgten zahlreiche Kurzgeschichten, Theaterstücke und Hörspiele. 2023 erhielt Barbi Markovic den Kunstpreis Berlin für Literatur.
Kategorie Sachbuch/Essayistik – Tom Holert: „ca. 1972. Gewalt – Identität – Methode“ (Spector Books)
Tom Holert widmet sich dem Zeit-Raum „ca. 1972“ und seinen politischen und ästhetischen Avantgarden. Sein überbordender Text-Bild-Essay stellt Gewalt, Ökologie und Identität in einen aufregenden methodischen Zusammenhang. Holert gelingt dabei, was man sich von vielen schreibenden Vertreter:innen auf beiden Seiten aller Literaturpreise wünschen würde. Indem er seine Position als Autor benennt, reflektiert und sie sichtbar macht, ohne sich selbst in diese kulturellen Objekte und ihre Geschichte einzuschreiben, leistet er seinen klugen Teil der Arbeit auf dem Weg zu einem 2024 leider immer noch utopischen Ziel: einer sozialen, globalen, ökologisch und geschlechtlich gerechteren Welt. – Begründung der Jury
Tom Holert
Tom Holert, geboren 1962 in Hamburg, hat Kunstgeschichte studiert, für Zeitschriften gearbeitet (Texte zur Kunst, Spex), an Hochschulen gelehrt (u. a. Akademie der bildenden Künste Wien; Freie Universität Berlin; HFBK Hamburg) und Ausstellungen organisiert (u. a. im HKW Berlin). Holert ist Gründungsmitglied des Harun-Farocki-Instituts in Berlin und hat zahlreiche Bücher veröffentlicht, darunter „Entsichert. Krieg als Massenkultur im 21. Jahrhundert“ (2002), „Fliehkraft: Gesellschaft in Bewegung – von Migranten und Touristen“ (2006, beide bei Kiepenheuer & Witsch) und „Politics of Learning, Politics of Space. Architecture and the Education Shock of the 1960s and 1970s” (De Gruyter, 2021).
Kategorie Übersetzung – Ki-Hyang Lee: Bora Chung: „Der Fluch des Hasen“ (CulturBooks)
Das Unheimliche und Monströse laufen bei der gesellschaftskritisch versierten Koreanerin Bora Chung zu großer Form auf. Ki-Hyang Lee ist es zu verdanken, dass ihre Geschichten auch auf Deutsch abgründig funkeln. In der pointierten und leicht neben die Norm gesetzten Sprache, die Ki-Hyang Lee den Texten von Bora Chung verleiht, haben sie eine zitternde Offenheit für das Neue und Unerwartete. Das Niedliche und das Widerliche kommen uns daraus entgegen. Wir erleben die Liebe, wie sie sich in einer nahen Zukunft womöglich anfühlen wird. Übersetzen bedeutet dabei auch, von beweglichen Standpunkten aus zu denken: Was ist nah und was fern, was selbstverständlich und was fremd. In diesem Buch werden Fremdsprachen gesprochen, und die Übersetzung spielt mit deren Rolle. Dass wir den Reichtum der südkoreanischen Gegenwartsliteratur erleben können, ist ein großer Verdienst von Ki-Hyang Lees unermüdlicher Arbeit. – Begründung der Jury
Ki-Hyang Lee
Ki-Hyang Lee, geboren 1967 in Seoul, studierte Germanistik, Pädagogik und Japanologie in Seoul, Würzburg und München. Sie lebt in München, arbeitet dort als Dozentin an der Universität und ist Übersetzerin und Verlegerin des Märchenwald Verlags. Zu ihren zahlreichen Übersetzungen zählen Han Kangs „Die Vegetarierin“ (Aufbau, 2017), Cho Nam-Joos „Kim Jiyoung, geboren 1982“ (Kiepenheuer & Wietsch, 2021) oder Kim Hye-Jins „Die Tochter“ (Hanser, 2022), dazu übersetzte sie Autor:innen wie Hwang Sun-Won, Jooyoung Kim, I-Seol Kim, Haemin Sunim, Sung-U Lee, Do Hyun Ahn, Song Sok-ze, Jong-Rae Jo u. a.
Presseaussendung Preis der Leipziger Messe / Red.