Teresa Petrovitz im Gespräch mit Matthias Hübener
Im Zentrum Ihres neuen Romans Die indische Kugel steht eine geheimnisvolle Kugel, die den jeweiligen Besitzer:innen viel Unheil bringt. Die Hauptfiguren Graham, Paul und Lynn versuchen, das Geheimnis rund um die Kugel festzumachen, was die drei in philosophische Gefilde und in die indische Geschichte führt. Welcher Gedanke stand am Anfang des Buches?
Hübener: Darüber gibt vielleicht am besten folgendes Zitat aus meinem Roman Aufschluss: „Das Böse ist am Anfang nur ein Gedanke.“ Diese Worte verweisen auf das Konzept des gewaltfreien Denkens, das ich gerne literarisch aufarbeiten und verfügbar machen wollte. Es entstammt der indischen religionsphilosophischen Tradition und vertritt die Annahme, dass am Anfang jeder bösen Tat böse Gedanken und daraus folgend böse Worte stehen. Dieses uralte Konzept ist mir vor langer Zeit in Indien begegnet und hat mich seitdem immer wieder beschäftigt. Nicht nur angesichts des Krieges in der Ukraine halte ich das Gedankengebäude für hochaktuell. Wir sehen es in vielen verschiedenen Facetten unserer Gesellschaft, was gewaltvolle Gedanken und Worte auslösen können. Diese Kausalität und die Frage, wie man damit umgehen kann, hat mich ungemein interessiert.
Indien wird somit zum Dreh- und Angelpunkt Ihrer Geschichte. Auch Ihr Protagonist Graham ist ein Kenner und Bewunderer der indischen Kultur. Inwieweit spielt Ihre Erfahrungswelt in den Charakter Graham hinein?
Hübener: Ich hatte in meinem Leben das große Glück, meine Neugier auf fremde Kulturen mit den Anforderungen meiner beruflichen Tätigkeit verknüpfen zu können. Ich bin viel gereist und konnte so vor allem Asien näher kennenlernen. Die beiden Länder, die ich am intensivsten bereist habe, zu verschiedenen Zeiten und Phasen in ihrer Geschichte, waren Indien und Japan. Die – ganz neutral gesagt – Andersartigkeit der Kulturen dieser Länder hat mich gefesselt. Ich finde es ganz allgemein unheimlich spannend, auf die Welt um uns zu blicken und auf das, was uns zu dem gemacht hat, was wir sind. Viele Orte und Dinge, die sich in meinem Buch wiederfinden, entstammen Erlebnissen und Erfahrungen, die ich bei meinen Aufenthalten in Indien gemacht habe ? zuweilen poetisch ausgestaltet, aber immer mit einem Kern, der der Wahrheit entsprungen ist.
Für Ihren Protagonisten Graham wird das Kennenlernen der indischen Kultur zu einem wichtigen Anker …
Hübener: Die Geschichte rund um Graham ist die Geschichte einer Emanzipation eines orientierungslosen Menschen, der Verwundungen und schreckliche Dinge erfahren hat. Mit Indien findet er einen Ort, der ihm Orientierung bietet und durch den er sich weiterentwickeln kann, auch durch die Auseinandersetzung mit dem gewaltfreien Denken, das er dann zu leben versucht. Das ist übrigens eine wesentliche Facette dieser Weltanschauung, die sie immer noch aktuell macht: Jeder und jede kann das Konzept des gewaltfreien Denkens für sich selbst leben und damit positiv auf das Umfeld einwirken.
Graham versucht, diese Philosophie an das Geschwisterpaar weiterzugeben, das er bei sich aufnimmt.
Hübener: Paul und Lynn finden bei ihm ein neues Zuhause, nachdem sie durch den Tod der Eltern zu Waisen geworden sind. Graham ist der letzte Verwandte der beiden Kinder. Als sie dann junge Erwachsene sind, kommt es zu den mysteriösen Geschehnissen, die meinen Roman über das philosophische Thema hinaus zu einer spannenden Geschichte machen.
Inwiefern spiegelt diese Mischung aus Philosophie und Spannung Ihr literarisches Ideal wider?
Hübener: Mir ist es beim Schreiben sehr wichtig, eine harmonische Balance zwischen diesen Sphären zu schaffen. Als Schriftsteller bin ich Geschichtenerzähler, und meine Geschichten sollen Freude beim Lesen machen, unterhalten, mitreißen, überraschen und Neugierde wecken, in einer schönen Sprache und Form. Das war auch schon bei meinem ersten Roman Vom Libellenflug. Eine Geschichte über den Mut der Fall. Ich liebe es auch sehr, Geschichten in der Geschichte zu erzählen, Handlungsstränge so zu verknüpfen, dass sie für die Leser:innen unberechenbar werden. Was ich an Philosophischem oder Weltanschaulichem verarbeite, soll nicht belehren, sondern vielmehr Gedankenanstöße geben und bestenfalls ein Bewusstsein für Themen schaffen, die uns alle angehen oder berühren, die einigen von uns aber vielleicht noch fremd sind. Insofern sollen meine Romane in den Leser:innen auch nachwirken. Das Schlimmste sind doch Bücher, an die wir uns schon bald nach der Lektüre kaum noch erinnern können.
An Ihren Roman schließt außerdem ein Glossar an, das die im Buch behandelten Konzepte und Begriffe umfasst.
Hübener: Das Glossar war mir sehr wichtig, weil es den Leser:innen tiefere Einblicke gibt und unter den vielen Büchern, die heute publiziert werden, auch eine Besonderheit darstellt.
Sehen Sie Ihre Romane, in die Ihre Weltoffenheit und Leidenschaft für außereuropäische Kulturen einfließen, auch als bewussten Gegenpol zu den Abschottungs- und nationalistischen Tendenzen, die weltweit an Fahrt gewinnen?
Hübener: Es ist vielleicht nur ein kleiner Beitrag, aber ich sehe meine Literatur tatsächlich als einen Gegenpol zu Entwicklungen wie die Deglobalisierung und den um sich greifenden Provinzialismus, durch den der Reichtum, der überall zu entdecken ist, verkannt oder als bedrohlich erlebt wird. In meinem aktuellen Buch bekommt die Leserschaft auch die Möglichkeit, von New York über Indien bis nach Schottland zu reisen, an Orte, die für mich eine besondere Magie und Faszination haben und die es wert sind, entdeckt zu werden.
Der Leitgedanke der Offenheit ist auch Ihrem Verlag Äquatorkind eingeschrieben, den Sie vor drei Jahren gegründet haben. Was hat es mit dem Namen auf sich?
Hübener: Wir haben den Namen Äquatorkind gewählt, weil beide Begriffe unsere Sicht auf die Welt und unsere Ideale reflektieren: Der Äquator steht für das Band, das die Welt und die Kulturen zusammenhält und nicht trennt, das Kind für Neugierde und die Bereitschaft, dieser Welt und den Kulturen mit Offenheit zu begegnen. Wir stehen für Toleranz und begreifen Unterschiede, selbstverständlich mit einem kritischen Verstand, als Reichtum und die Vernetzung der Welt als einen Schatz, den wir hüten sollten.
Wie kam es zur Gründung Ihres Verlages und wie ist er aufgestellt?
Hübener: Wir arbeiten als Team in einem kleinen Netzwerk zusammen. Gegründet haben wir den Verlag im Jahr 2020, was angesichts der Corona-Pandemie ein herausfordernder Startpunkt war. Eine Woche nach unserer ersten Lesung kam es zum Lockdown. Bis heute befindet sich die Verlagswelt aufgrund der multiplen Krisen in schwierigem Fahrwasser, wie wir alle wissen. Dem-gegenüber stehen aber die positiven Erfahrungen, die wir in unserem Verlag bisher gemacht haben.
Sie sind intensiv mit Ihren Leser:innen in Kontakt, arbeiten auch viel über Social Media, etwa durch Livestreams von Lesungen auf Instagram und den Kontakt mit Literatur-Blogger:innen und -Influencer:innen.
Hübener: Wir gehen neben den klassischen gerne innovative und digitale Wege, um die Romane in die Öffentlichkeit zu bringen, wobei der Inhaber:innen-geführte Buchhandel ganz klar unser Ziel ist. Im Internet gibt es eine unheimlich spannende und lebendige Literaturszene, getragen von begeisterten Leser:innen und Blogger:innen, mit denen wir gerne zusammenarbeiten. Wir möchten auf diesem Feld so offen wie möglich sein, sind auch bereit für Lesungen. Zu Die indische Kugel haben wir sehr viel positives Feedback bekommen, was uns natürlich besonders freut.
Herzlichen Dank für das Gespräch!
Bibliographische Angaben
Matthias Hübener
Die indische Kugel
472 Seiten, 7 Abb., Hardcover
ISBN 978-3-948959-04-3
€ 24,70 | Äquatorkind
Dieses Interview finden Sie auch im sortimenterbrief (Ausgabe Mai)