Anlässlich des Pride Month lud Thalia am Dienstagvormittag zu einem Pressetalk in die Buchhandlung Mariahilfer Straße. Unter dem Titel „Diversität im Buchhandel – zwischen Haltung und Wirklichkeit“ diskutierten Bestsellerautor Thomas Brezina, Leykam-Programmleiterin Tanja Raich, Thalia Geschäftsführerin Andrea Heumann sowie Bereichsleiter Martin Sarrazin über Sichtbarkeit, Verantwortung und reale Herausforderungen im Umgang mit Vielfalt im Buchmarkt.
Literatur zwischen gesellschaftlicher Relevanz und Verantwortung
„Literatur kann Fenster öffnen, wenn sie Vielfalt nicht nur behauptet, sondern auch lebt.“ Mit dieser Einordnung eröffnete Andrea Mikhaeel, externe Pressesprecherin von Thalia, das Format „Thalia Lesezeichen“, das regelmäßig Debatten an der Schnittstelle von Buchmarkt, Kultur und gesellschaftlichem Wandel aufgreift.
„Vielfalt ist bei uns kein Label, sondern eine gelebte Haltung. Unsere Buchhandlungen sind Orte für Menschen unterschiedlichster Herkunft, Sprache und Lebensrealität. Diese Pluralität spiegelt sich in unseren Sortimenten, aber auch in unseren Teams wider.“ – Andrea Heumann, Geschäftsführerin von Thalia
Dass Diversität auch ökonomisch relevant ist, zeigen aktuelle Zahlen von media control (media control GmbH, Stand: 10.06.2025): Die Anzahl der verkauften Titel mit „LGBTQ“-Schlagwort stieg zwischen 2014 und 2024 um 850 % (von 11.423 Stück auf 108.480 Stück). Auch der Umsatz wuchs im gleichen Zeitraum von 126.000?Euro (2014) auf 1,7?Millionen?Euro (2024) – ein Zuwachs von 1.300?%. „Diese Entwicklung steht für mehr als ein Marktsegment. Sie zeigt einen strukturellen Wandel – im Lesen, im Schreiben, im Denken.“
Thomas Brezina, einer der meistgelesenen Autoren Österreichs, präsentierte im Rahmen des Pressetalks seinen neuen Roman „Liebe ist niemals normal“ – mit einem queeren Protagonisten.
„Ich wollte ein Buch schreiben, das nicht belehrt, sondern berührt. Eine Geschichte mit Humor, Tiefe und Haltung. Denn: Liebe ist immer individuell – und in jeder Form wunderschön. Kein Mensch muss sich heute noch outen.“ – Thomas Brezina
Er betonte, dass ihn viele Nachrichten junger Menschen zur Veröffentlichung ermutigt hätten: „Ich wollte dieses Buch schon sehr lange schreiben. In den letzten ein bis eineinhalb Jahren habe ich auf Social Media besonders viele Zuschriften erhalten, wo ich auch viel über mich und meinen Mann erzähle. Vor allem junge Menschen haben mir geschrieben, dass die homophobe Stimmung schlimmer wird, dass die Angriffe zunehmen – auch in Form verbaler Entgleisungen – und dass viele große Schwierigkeiten in ihren Familien erleben.“ Sein Fazit: „Vielfalt braucht Raum – nicht als Sonderauslage, sondern quer durch alle Genres. Am besten an einem zentralen Ort für schnelle Orientierung und Sichtbarkeit, aber auch in jedem Buchregal für die Selbstverständlichkeit. Damit niemand denkt, es handle sich um einen temporären Trend, sondern um das, was längst Teil unseres Lebens ist.“
Verlage für neue Perspektiven
Tanja Raich, Programmleiterin des traditionsreichen Leykam Verlags, sprach über die editorische Verantwortung, Diversität nicht nur punktuell, sondern strukturell mitzudenken:
„Wir sehen unsere Aufgabe darin, keine Klischees zu reproduzieren, sondern neue Perspektiven zu ermöglichen. Das beginnt schon bei der Auswahl von Illustrationen, geht über gendersensible und inklusive Sprache bis hin zu Themenwahl und Programmentscheidungen.“ – Tanja Raich
Ein Beispiel sei das Kinderbuch „Gute Nachrichten aus aller Welt“, das positive Geschichten aus Ländern wie Syrien oder Afghanistan erzählt – verfasst und illustriert von einem diversen Team. Vor allem im Kinderbuch sei es besonders wichtig, verschiedene Lebensrealitäten zu zeigen, die Identifikation ermöglichen und Mut machen.
Vielfalt im Alltag und im Buchhandel
Martin Sarrazin, Bereichsleiter bei Thalia, brachte die Perspektive der Filialteams ein.
„Vielfalt ist für uns kein Projekt, sondern gelebte Praxis – vom queeren Mitarbeitenden bis zur Kundin mit Kopftuch. Aber ja, es braucht Mut, klare Haltung und Teamzusammenhalt – besonders wenn Anfeindungen kommen.“ – Martin Sarrazin
Die Reaktionen auf Pride-Tischpräsentationen seien nicht immer nur positiv, so Sarrazin: „Wir führen Dialog, aber wir setzen auch Grenzen. Unsere Buchhandlungen sind Safe Spaces. Wer herabwürdigend handelt, verliert sein Gastrecht.“
In der Abschlussrunde wurde deutlich: Der Diskurs um Vielfalt im Buchhandel ist nicht abgeschlossen – er beginnt erst. Die Herausforderungen sind vielfältig: vom Genderstern über diskriminierende Bewertungen bis hin zum Umgang mit politischem Gegenwind. Andrea Heumann ist überzeugt: „Vielfalt muss Teil des Selbstverständnisses von Verlagen und Buchhandlungen werden – in der Sprache, im Sortiment, in der Führungskultur.“
Thomas Brezina schloss mit einem Satz, der in seiner literarischen Klarheit nachwirkt: „Es geht nicht um politische Korrektheit. Es geht um Menschlichkeit. Literatur kann dabei helfen, unsere Welt ein Stück verständnisvoller zu machen.“